Sonntag, 20. Juli 2008

Schweizer Flüchtlingsrat zum Thema Kanun

Asylvorbringen bei kosovo-albanischen GesuchstellerInnen können sich auf Gefährdungen
beziehen, die ausdrücklich oder indirekt im Zusammenhang mit der albanischen
Tradition stehen, etwa wenn Rache seitens einer anderen Familie oder gewaltsame
Sanktionen der eigenen Familie befürchtet werden.
Die Flucht ins Ausland scheint eine Möglichkeit zu sein, den Zwängen und Unfreiheiten der Tradition und den von ihr herrührenden persönlichen Gefahren auszuweichen, wie Anfragen an die Schweizerische Flüchtlingshilfe immer wieder zeigen.
Um den Realitätsgehalt solcher Vorbringen, aber auch die Konsequenzen erlittener oder befürchteter Gewalt besser einschätzen zu können, ist das Verständnis des albanischen Gewohnheitsrechts und der Rolle der Traditionen im heutigen Kosovo wesentlich. Angst vor Blutrache lässt sich nur nachvollziehen, wenn die gewohnheitsrechtlichen Praktiken, aus
denen sich eine solche Angst ableiten kann, bekannt sind.
Die Folgen von im Krieg erlittenen Vergewaltigungen sind in Beziehung zu setzen mit der Wahrnehmung solcher Vorgänge innerhalb eines traditionell denkenden Umfelds. Die Befürchtung einer alleinerziehenden Frau, ihre Kinder würden ihr nach einer Rückkehr nach
Kosovo von den Schwiegereltern weggenommen, kann unverständlich bleiben, wenn
nur auf das für Kosovo geltenden Familienrecht des ehemaligen Jugoslawien, nicht
aber auf die Tradition abgestellt wird.

Sind die Jahrhunderte alten Regeln des albanischen Gewohnheitsrechts, dem so
genannten Kanun im Gebiet von Kosovo heute überhaupt noch verbindlich, wenn ja,
für wen?

Eine Abklärungsreise im Oktober 2004 hatte zum Ziel, auf solche Fragen
eine Antwort zu finden.

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